In der Hölle tanzen

Dr. Edith Eva Eger

Inhalt

Dr. Edith Eger ist gebürtige jüdische Ungarin. Mit 16 wurde sie mit Ihrer Familie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. In ihrem Buch „In der Hölle tanzen“ beschreibt sie in einem ausführlichen Teil ihre Biografie. Dabei geht sie stets auch darauf ein, wie sie mit ihren Erlebnissen umgegangen ist und wie sie sie verarbeitet hat (oder manchmal auch nicht).

Sie wächst auf in bürgerlichen Verhältnissen und einer Familie mit vielen musischen Talenten. Ihre Leidenschaften sind das Ballett und das Bodenturnen. Einen ersten Eindruck von den neuen, rassistischen Verhältnissen erfährt sie, als sie wegen ihrer Abstammung aus der Olympiamannschaft fürs Bodenturnen genommen wird.

Wenig später, im Jahre 1944, wird sie mit ihrer Familie nach Auschwitz gebracht. Sie schafft es, die meiste Zeit mit ihrer älteren Schwester Magda zusammen zu bleiben.

Da dieses Buch 2017 erstmals veröffentlicht wird, ist stets klar, dass Edith Eger überleben wird. Sie überlebt Auschwitz – mit Mut und viel Glück. Doch die Gefangenschaft endet nicht dort. Von Auschwitz aus wandert sie mit ihren Mitgefangenen in weitere Lager, vornehmlich um zu arbeiten. Als ihre Kräfte aufgezehrt sind, findet die Befreiung statt.

Zurück in Ungarn wird klar, dass es auch nach dem Krieg dort nicht sicher für sie ist. Sie emigriert in die USA, wo sie heute noch lebt und ihre eigene psychologische Praxis betreibt. Dort unterstützt sie Menschen dabei, insbesondere Traumata zu verarbeiten. Zudem hält sie Vorträge, um ihre Erfahrungen zu teilen – vor allem mit dem Schwerpunkt, wie sie diese grausamen Erfahrungen verarbeitet hat.

Im hinteren Teil des Buches wird vor allem ihre persönliche psychologische Verarbeitung beschrieben. Nach der physischen, körperlichen Gefangenschaft folgt die psychische. All die Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, die Eger umtreiben, bilden einen Kerker in ihrem eigenen Kopf, aus dem sie sich nur selbst befreien kann. Dieser Teil wird mit einigen Fallbeispielen aus ihrer psychologischen Praxis ergänzt. Sie zeigen weitere Facetten und verschiedene Heransgehensweisen zur Lösungsfindung.

Impulse

Dieses Buch sendet Impulse auf verschiedenen Ebenen. Zum einen gibt es den biografischen Teil, der uns die Möglichkeit gibt, noch einmal die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte zu erfahren und daraus zu lernen – gerade vor dem Hintergrund erstarkender rechtspopulistischer Parteien sicher ein heilsamer Rückblick. Zum anderen liefert Eger auch Beispiele aus ihrer Praxis, aus denen sich ebenfalls Lehren ziehen lassen.

  • Vergeben heißt nicht Gutheißen.
    Vielmehr bedeutet es zu erkennen, dass wir die Vergangenheit nicht mehr ändern können. Es heißt, den Blick nach vorne richten zu können – auf die Handlungen und Entscheidungen, die wir noch beeinflussen können.
  • Schwierig: Vergib!
  • Und noch schwieriger: Vergib dir selbst!
  • „Vielleicht geht es beim Heilen nicht darum, die Narbe verschwinden zu lassen oder sie gar herbeizuführen. Heilen heißt, die Wunde zu pflegen“.
    Dieser Satz erscheint mir ganz zentral; er ist natürlich psychisch und physisch gemeint. Das Verdrängen von Emotionen verstärkt ihren Druck eher, als dass es ihn verringert.
  • Sie unterscheidet Viktimisierung und Opfer.
    Die Viktimisierung bedeutet, dass mich jemand oder etwas von außen zum Opfer macht. Ich werde überfallen, oder ich gerate in einen Unfall. Zum Opfer mache ich mich jedoch selbst – indem ich hadere, verzweifle, mich machtlos fühle und mich damit auch machtlos mache. Edith Eger sagt, man kann sich dafür entscheiden, kein Opfer zu sein.
  • Nicht die Zeit heilt Wunden, sondern das, was wir in dieser Zeit tun. Abwarten alleine wird nicht helfen. Diese Erkenntnise ergänzt in meinen Augen die vorherige Aussage noch einmal.
  • „Wenn ein Kind mit Anorexia [= Magersucht] zu tun hat, ist der ermittelte Patient das Kind, aber der tatsächliche Patient ist die Familie.“
    Ich bin kein Psychologe. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich diese Erkenntnis auf weitere psychologischen Symptome ausdehnen lässt. Wir sind nicht alleine, wir leben in Wechselwirkung mit anderen. Das kann uns stützen, das kann uns beschädigen. Eine Untersuchung einer Schädigung ohne Blick auf den Kontext wird unvollständig sein.

Bewertung und Kommentar

In der Hölle tanzen (Rückseite)Als ich die ersten Seiten gelesen hatte, war mir klar: Das lese ich entweder in einem Stück durch, oder ich brauche ein Jahr dafür. Es war keine bewusste Entscheidung, ich habe das Buch binnen 24 Stunden verschlungen.

Es ist wahrscheinlich nicht für jedermann geeignet. Gerade der biografische Teil enthält viele Grausamkeiten, die sensible Gemüter lange beschäftigen können. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass es sich hier nicht um Fiktion handelt. Die beschriebenen Gegebenheiten sind tatsächlich so passiert, das haben wirklich Menschen anderen Menschen angetan.

Das Buch ist sehr flüssig geschrieben und erlaubt dem Leser nicht nur das Eintauchen in die damalige Zeit und Situation, sondern auch in das Gefühlsleben von Edith Eger. Sie beschreibt nicht nur ihren physischen sondern vor allem auch ihren psychischen Leidensweg und vermittelt dabei die ganze Zeit über Authentizität und Ehrlichkeit sich selbst sowie dem Leser gegenüber.

Dabei gefällt mir auch, dass sie stets differenziert bleibt. Sie beschreibt auch positive Handlungen von Nazis oder Bedrohungen durch ihre späteren Befreier. Sie verschweigt es nicht, wenn sie sich selbst anderen gegenüber ungerecht verhält.

Durch die intimen Einblicke in ihr Gefühlsleben und mittels Beispielen aus ihrer klinischen Praxis zeigt sie Lösungsmöglichkeiten auf. Sie möchte, dass der Leser mitnimmt: „Wenn sie das schafft, dann schaffe ich das auch.“

Soweit ich mich erinnern kann, ist „In der Hölle tanzen“ das Buch, das mich bisher emotional am meisten berührt hat.

Mein Fazit:
beeindruckend, berührend, fesselnd, erschreckend, bedrückend, erleichternd – absolut lesenswert.

Eckdaten

TitelIn der Hölle tanzen
Autor(en)Dr. Edith Eva Eger
Erscheinungsjahr2017
ISBN978-3-442-71906-8
Verlagbtb Verlag, München
Umschlagsemper smile, München

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