Einsamkeit – Die unerkannte Krankheit

Manfred Spitzer

Inhalt

Der Titel dieses Buches trifft den Inhalt sehr genau. In den letzten Jahren hat sich die Wissenschaft zunehmend mit dem Thema Einsamkeit und der Frage, wie sie sich auf Menschen auswirkt, befasst. Die Ergebnisse fasst Manfred Spitzer hier zusammen und stützt sich dabei auf viele wissenschaftliche Studien (die in natürlich einem Literaturverzeichnis erfasst sind). Zu diesem Zweck zeigt er zunächst, dass die Einsamkeit der Menschen weltweit zunimmt. Einsamkeit wird in stets in zwei Dimensionen betrachtet: die objektiv messbare soziale Isolation sowie die individuell empfundene Einsamkeit.

Er erläutert, wie das Gehirn auf Einsamkeit reagiert. Die wesentliche Erkenntnis ist, dass Einsamkeit wie Schmerz und auch Stress verarbeitet wird. Damit gelten für dauerhaft erlebte Einsamkeit das Gleiche wie für Dauerstress: „[…] Einsamkeit steigert das Risiko, eine ganze Reihe von Krankheiten zu bekommen – vom einfachen Schnupfen über andere Infektionskrankheiten und vor allem die häufigen Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall bis hin zu Krebs.“

Ferner stellt Spitzer fest, dass Einsamkeit ansteckend ist, dass Smartphones und digitale „soziale Netzwerke“ Einsamkeit fördern und dass das Verhalten von Eltern oder Führungskräften ihren Kindern oder Mitarbeitern gegenüber großen Einfluss auf deren Einsamkeit und damit Gesundheit hat.

Die letzten beiden der zehn Kapitel widmet er möglichen Strategien gegen Einsamkeit. Die Hoffnung auf einige wenige einfache Rezepte nimmt er dabei gleich zu Beginn. Menschen und ihre Herausforderungen sind inviduell unterschiedlich.

Allerdings lassen einige Studien erkennen, dass beispielsweise ehrenamtliche Tätigkeiten, das Helfen von anderen, gemeinsames Musizieren und Zeit und Bewegen in der Natur sowohl den Stresspegel als auch das Gefühl der Einsamkeit reduzieren können. Insbesondere ist die Natur dann hilfreich, wenn man die Einsamkeit einmal bewusst sucht. Das kann beispielsweise nach einem ereignisreichen Tag mit vielen sozialen Kontakten passieren. Der Waldspaziergang macht dann statistisch gesehen glücklich, während man nach einem Abend auf dem Sofa eher frustrierter ist als vorher.

Impulse

Da Manfred Spitzer auch in die angrenzenden Themen leuchtet, habe ich hier ein paar Impulse mitgenommen, die sich nicht nur auf das Einsamkeit reduzieren:

  • Einsamkeit macht krank, genauso wie dauerhafter Stress oder chronischer Schmerz.
  • Ein Ausweg liegt in einer positiven Gestimmtheit, der die Übernahme der Verantwortung für sich selbst zugrunde liegt (das deckt sich mit den Aussagen von Jens Corssen, der sein Modell des Selbstentwicklers von 2006 um das Ziel der positiven Gestimmtheit 2015 angepasst hat)
  • Geld macht nur dann glücklich, wenn man es für andere und für Erlebnisse (und nicht für Dinge) ausgibt. Die Menge des Geldes spielt dabei keine Rolle.
  • Bei schlechter Stimmung oder Frust gehe nach draußen in die Natur, in den Wald
  • Bei den Pfadfindern werden alle positiven Einflüsse gebündelt: Gemeinschaft, gemeinsames (synchrones) Musizieren, viel Zeit draußen und im Wald. Wer als Kind bei den Pfadfindern war, hat eine längere Lebenserwartung und eine geringere Erkrankungswahrscheinlichkeit.
  • Chefs haben Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Ein unberechenbarer Vorgesetzter erzeugt Stress bei seinen Leuten, weil diese ihm und seinen Launen „ausgeliefert“ sind. Dauerhafter Stress führt zu erhöhten Krankheitsständen.
  • Menschen haben heute durchschnittlich weniger Vertrauen in andere. Ein Grund dafür sind die abnehmenden regelmäßigen kurzen Kontakte zu anderen Fremden, die sich grundsätzlich wie erwartet verhalten. Online-Shopping oder -Banking sind nur zwei Beispiele dafür.
  • Digitale Netzwerke oder auch Instant Messenger sind Medien, über die man kommunizieren kann. „Medium“ heißt „Vermittler“. Das bedeutet, dass sich diese Medien genau zwischen die Menschen schieben und so die wichtigen direkten Kontakterlebnisse reduzieren. Dadurch verstärken sie die Einsamkeit und reduzieren sie in der Regel nicht.

Bewertung und Kommentar

Grundsätzlich habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Ich mag die vielen ergänzenden Erklärungen und Hinweise, die einen Kontext schaffen, in dem man das Hauptthema besser verstehen kann.

Das Thema Lesbarkeit finde ich nicht ganz so einfach zu bewerten. Manfred Spitzer ist Wissenschaftler, und im „postfaktischen Zeitalter“ liegt ihm offensichtlich viel daran, seine Aussagen sauber zu stützen. Daher arbeitet er mit vielen Quellen und Fußnoten (am Ende des Buches aufgeführt). Einige Passagen sind auch so formuliert, dass man sie auch dann zweimal lesen kann, wenn man den Umgang mit wissenschaftlichen Texten bereits gewöhnt ist. Dafür allerdings, dass dem so ist, finde ich das Buch außerordentlich lesbar.

Inhaltlich fand ich es äußerst interessant, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Spitzer immer wieder einiges um das Kernthema herum erklärt. Das mag andere stören, ich finde das bereichernd.

Auf jeden Fall kann ich sagen, dass ich nach der Lektüre von „Einsamkeit“ jetzt einige Dinge anders machen möchte.

Und noch eine Anmerkung:
Mit ist bewusst, dass einige der Thesen von Manfred Spitzer umstritten sind. Gerade seine kategorische Ablehnung von Medien und Smartphones findet keinen reinen Konsens bei seinen wissenschaftlichen Kollegen. Wer da Recht hat, kann und will ich nicht beurteilen. Ich weiß, dass ich das Buch mit Interesse gelesen habe und dass ich (auch trotz der vielen genannten Quellen) nicht eins zu eins alles glaube – wie im Grunde bei jedem Buch…

Eckdaten

TitelEinsamkeit - Die unerkannte Krankheit
AutorenManfred Spitzer
Erscheinungsjahr2019
ISBN978-342630106-7
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
UmschlagKathrin Keienburg-Rees, Freiburg

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