Irre! Wir behandeln die Falschen

Unser Problem sind die Normalen

Manfred Lütz

Inhalt

Der studierte Theologe sowie studierte und promovierte Mediziner Manfred Lütz startet mit der These, dass in unserer Gesellschaft nicht die psychisch kranken sondern die Gesunden – die Normalen, oder auch die „Normopathen“ – das Problem darstellen. Die Persönlichkeiten, die heute und in der Geschichte im Zentrum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit stehen, weisen bzw. wiesen alle keine behandlungswürdigen Krankheiten auf. Selbst Hitler war aus psychiatrischer Sicht gesund – also „normal“. Gemäß seiner Einleitung ist es Lütz‘ Ansinnen, mit diesem Buch durch Aufklärung den Graben zwischen den Normalen und den psychisch Kranken zu verringern, Verständnis und auch Sympathie zu schaffen.

Dem Thema, was wir heute als normal verstehen, widmet er das erste Kapitel. Im zweiten Abschnitt gibt Lütz einen Überblick darüber, wann überhaupt psychische Störungen behandelt werden sollten, wer zu behandeln ist und auf welche Weisen das erfolgen kann – mit einem kurzen Überblick über die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie, systemische Ansätze und auch über medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Im letzten Kapitel schließlich beschreibt er die in Deutschland am häufigsten auftretenden psychischen Krankheiten mit Behandlungsmöglichkeiten.

Dabei stellt er im Wesentlichen die folgenden Diagnosen vor, die er an vielen Stellen mit Beispielen aus seiner klinischen Praxis anreichert und verdeutlicht:

  • Auswirkungen physischer Schäden am Gehirn
  • Demenz
  • Sucht
  • Schizophrenie
  • Depressionen
  • Manie
  • Traumata
  • Spektakuläre aber seltenere Krankheiten wie Persönlichkeitsstörungen

Am Ende schließt er mit einem Plädoyer für mehr Menschlichkeit – unter normalen und auch im Zusammenspiel mit psychisch kranken Menschen. Die Gewöhnlichen können hinsichtlich Menschlichkeit und Bewusstsein des Augenblicks von den Außergewöhnlichen durchaus noch dazulernen.

Impulse

Das Thema psychische Krankheiten ist kein leichtes für jemanden, der bisher wenig damit zu tun hatte. Der Anspruch dieses Buches ist es jedoch, genau diesen Graben zu verkleinern. Da Lütz auf 186 Seiten einen Überblick über ein riesiges und schnell wachsendes Fachgebiet gibt, erscheint es schwer möglich, alle Impulse dauerhaft aufzunehmen. Mich haben vor allem die folgenden Messages erreicht:

  • Krank ist, wer unter Symptomen leidet. Es genügt nicht, die Symptome zu haben.
  • Behandelt werden sollte nur, wer auch leidet und behandelt werden möchte (Ausnahmen gibt es natürlich, z.B. akut selbstmordgefährdete Personen).
  • Eine Diagnose dient nur der Behandlung und keinem Selbstzweck, wie z.B. die Schönheit der Erkenntnis.
  • Psychische Krankheiten sind echte Krankheiten (keine Sünde o.ä.). Sie sind gefährlich.
  • Die meisten dieser Krankheiten kann man erfolgreich behandeln.
  • In den wenigsten Fällen, gibt es für den Ausbruch schuldige Personen.
  • 20% der Mädchen bzw. Frauen, die unter Magersucht (Anorexie) leiden, sterben an dieser Krankheit.
  • Fokussiere auf die Stärken! Befasst man sich zu sehr mit dem Problem, werden die Schwächen betont. Das schwächt das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl der Patienten. Mit der Konzentration auf die Stärken hat der Betroffene die Chance, sich in eine selbstbestimmte und gestaltende Rolle zu begeben.

Bewertung und Kommentar

Dieses Buch hat mir unheimlich gut gefallen. Es befasst sich mit einem Thema, das zunächst keine besonders fröhlichen Erwartungen weckt. Lütz beschreibt seine Patienten geradezu liebevoll und durchaus mit Humor. Er zielt mit dem Buch auf die breite Öffentlichkeit und wählt dafür einen gut lesbaren Stil. Er nutzt die notwendigen Fachbegriffe, erklärt sie aber sofort, so dass ich nie das Gefühl hatte, abgehängt zu werden.

Gleichzeitig bezieht Lütz an vielen Stellen klar Stellung, was ihm an der aktuellen Gesellschaft nicht gefällt. Dem kann man zustimmen oder auch nicht. Immerhin steckt Lütz nicht zurück, sondern er bietet eine Flanke, um sich daran zu reiben.

Mittlerweile habe ich das Buch zum zweiten Mal gelesen. Es gefällt mir nach wie vor ausnehmend gut. Ich kann es nur wärmstens empfehlen. Wer sich nicht mit der Kritik an den „Normopathen“ (also den „Normalen“) aufhalten möchte, beginnt einfach im zweiten Abschnitt – der ein oder andere Kommentar in diese Richtung kommt dann schon noch. 😉

Eckdaten

TitelIrre! Wir behandeln die Falschen
AutorenManfred Lütz
Erscheinungsjahr2009
ISBN978-3-579-06879-4
VerlagGütersloher Verlagshaus, Gütersloh
UmschlagGGP Media GmbH, Pößneck

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Manfred Lütz: Irre! – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen – Eine heitere Seelenkunde – Mit einem Vorwort von Eckart von Hirschhausen*


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